Heute in einem wieder mal recht vollen Stadtbus, eine breite Freifläche und eine kleinere - theoretisch Platz für drei "Einheiten": zwei Rollstuhlplätze und dann noch Platz für einen Kinderwagen o.ä.. Also Platz genug, sollte man meinen.
Einen der beiden Rollstuhlplätze belegten zwei ältere Damen mit Migrationshintergrund und Kopftuch auf den aufgeklappten Notsitzen, am anderen stand eine sehr gepflegte noch ältere Dame mit mondänem ausladenden Sonnenhut und Fahrrad und den Rest der Freifläche belegte ein (ordnungsgemäß platzsparend hingestellter) Kinderwagen nebst zugehöriger Mutter. Ansonsten war der Bus auch recht voll, mit vielen stehenden Fahrgästen.
So weit, so gut - hätte nicht ein Rollstuhlfahrer in Begleitung einer jungen Frau einsteigen wollen. Da zuerst niemand Platz machte stieg nun der Busfahrer aus und ging zur hinteren Tür.
Ich selbst stand im vorderen Bereich mit Blick in Fahrtrichtung und hatte bis zu diesem Zeitpunkt noch nichts von dem Szenario hinter mir bemerkt sondern mich mit einem Freund unterhalten.
Der Busfahrer bat nun - recht bestimmt und nicht unbedingt in dienerhafter Demut zerfließend, aber doch dem Anlass entsprechend noch relativ höflich - dass doch bitte für den Rollstuhlfahrer der dafür vorgesehene Platz frei gemacht werden möge.
Als nichts geschah sprach er nochmals direkt die ältere Dame mit dem Fahrrad an, sie möge doch bitte aus der Rollstuhlecke mit dem Fahrrad herauskommen und so Platz machen.
Wie genau das nun weiterging weiß ich erstmal nicht mehr. Auf jeden Fall wollte die "Dame" nicht einsehen dass sie Platz machen solle, immerhin sei sie schwerbehindert. Der Rollstuhlfahrer solle doch den nächsten Bus nehmen. Der Busfahrer wurde deutlich aufgebrachter, das gäbe es doch nicht, und der Rollstuhlfahrer würde hier nicht stehen gelassen, sondern käme auf jeden Fall mit, sie solle Platz machen und zur Not aussteigen, sie sei doch unverschämt. Nein, er sei unverschämt, sie habe ein Recht da zu stehen, schließlich sei sie schwerbehindert!
So ging das eine Weile hin und her, der Ton wurde immer rauer. Schließlich hat die junge Frau mit dem Kinderwagen sich mitten in den Gang gestellt, die Dame mit dem Fahrrad sich schimpfend in der gesamten Länge der Doppelfreifläche schmal hingestellt und der Rollstuhlfahrer nebst Begleitung musste im Gang in Fahrtrichtung und absolut unsicher mitfahren. Die Schimpferei zwischen Busfahrer und Dame ging weiter, sie hielt ihn am Schluss sogar an den Mund zu halten. Er hatte kurz zuvor noch gedroht sie raus zuwerfen - und in diesem "Ach, halten Sie doch den/Ihren Mund"-Moment fürchtete ich sogar er werde die Drohung wahr machen.
Als sie dann später an ihrer Zielhaltestelle ausstieg, ist die schwerbehinderte Dame übrigens auf ihr Fahrrad gestiegen und - zwar langsam, aber nicht unbedingt schwerbehindertenplatzberechtigt davongefahren.
Es bleiben viele Fragen - und ich bin mir selbst mit meiner eigenen Meinung nicht sicher...
Zuallererst stellt sich mir die Frage was mit den kopftuchtragenden Damen ist. Ich meine, das ist eindeutig ein Rollstuhlplatz! Aber die beiden Frauen hatten absolut keine Anstalten gemacht sich in irgendeiner Art und Weise verantwortlich oder auch nur beteiligt zu fühlen. Das Gekeife war laut und deutlich genug - vielleicht (Vorsicht: Vorurteil - aber womöglich begründet?) können die beiden ja kein Deutsch und haben die Situation nicht verstanden und vielleicht deswegen total ignoriert? Aber es hat sie auch niemand darauf angesprochen - weder der Busfahrer noch die Fahrgäste. Auch ich nicht. Warum? Aus Angst? Davor in die rechte Ecke gedrängt zu werden? Ich hatte noch geschaut, aber es waren nirgendwo zwei normale Sitzplätze frei wo die beiden älteren Frauen sich hätten sofort hinsetzen können. Aber hätte ich mich getraut sie darauf anzusprechen wenn etwas frei gewesen wäre? Ich weiß es nicht.
Dann ist da diese renitente alte Dame die darauf beharrt dass ein (übrigens während der ganzen Zeit nicht vorgezeigter!) Schwerbehindertenausweis sie dazu berechtigt, stehend und mit Fahrrad einen speziell für Rollstuhlfahrer hergerichteten Platz im Bus zu belegen. Dass durch ihre Beharrlichkeit der arme junge Rollstuhlfahrer leiden musste, in absolut ungeeigneter und sogar gefährlicher Position mitfahren musste, das hatte sie keinen Deut interessiert. Sie ließ sich nicht im Geringsten auf Argumente ein, hörte nicht zu. Sie war im Recht und sonst niemand!
Und dann der Busfahrer. Natürlich hätte er höflicher sein können, freundlicher, besser versuchen können zu überreden, zu überzeugen. Aber ich vermute dass er auch damit bei der renitenten Dame auf Granit gebissen hätte.
Und was war mit dem zweiten Rollstuhlplatz? War es ihm nicht bewusst dass dieser Bustyp so einen hat (die meisten anderen Busse haben ihn nämlich nicht)? Wahrscheinlich konnte er in diese Ecke auch nicht gut sehen, da viele Fahrgäste davor standen. Hätte er sich anders verhalten sollen?
Hätte er das Recht gehabt (und es womöglich sogar nutzen sollen?) diese Dame an die Luft zu setzen? Wie hätte er handeln sollen?
Und nicht zuletzt die ganzen peinlich berührten und gleichzeitig ratlosen Fahrgäste. Was hätten wir alle tun sollen? Für wen Partei ergreifen? Für den Rollstuhlfahrer, klar! Aber gegen wen? Und wie?
Ihr seht: ich weiß immer noch nicht wie ich das ganze sehen soll. Ich schäme mich dass ich nichts gemacht habe, weiß aber gleichzeitig auch bis jetzt noch nicht, WAS ich hätte tun sollen oder können.