Dienstag, 4. Juni 2013

Eine Busgeschichte

Heute in einem wieder mal recht vollen Stadtbus, eine breite Freifläche und eine kleinere - theoretisch Platz für drei "Einheiten": zwei Rollstuhlplätze und dann noch Platz für einen Kinderwagen o.ä.. Also Platz genug, sollte man meinen.
Einen der beiden Rollstuhlplätze belegten zwei ältere Damen mit Migrationshintergrund und Kopftuch auf den aufgeklappten Notsitzen, am anderen stand eine sehr gepflegte noch ältere Dame mit mondänem ausladenden Sonnenhut und Fahrrad und den Rest der Freifläche belegte ein (ordnungsgemäß platzsparend hingestellter) Kinderwagen nebst zugehöriger Mutter. Ansonsten war der Bus auch recht voll, mit vielen stehenden Fahrgästen.

So weit, so gut - hätte nicht ein Rollstuhlfahrer in Begleitung einer jungen Frau einsteigen wollen. Da zuerst niemand Platz machte stieg nun der Busfahrer aus und ging zur hinteren Tür.
Ich selbst stand im vorderen Bereich mit Blick in Fahrtrichtung und hatte bis zu diesem Zeitpunkt noch nichts von dem Szenario hinter mir bemerkt sondern mich mit einem Freund unterhalten.

Der Busfahrer bat nun - recht bestimmt und nicht unbedingt in dienerhafter Demut zerfließend, aber doch dem Anlass entsprechend noch relativ höflich - dass doch bitte für den Rollstuhlfahrer der dafür vorgesehene Platz frei gemacht werden möge.
Als nichts geschah sprach er nochmals direkt die ältere Dame mit dem Fahrrad an, sie möge doch bitte aus der Rollstuhlecke mit dem Fahrrad herauskommen und so Platz machen.

Wie genau das nun weiterging weiß ich erstmal nicht mehr. Auf jeden Fall wollte die "Dame" nicht einsehen dass sie Platz machen solle, immerhin sei sie schwerbehindert. Der Rollstuhlfahrer solle doch den nächsten Bus nehmen. Der Busfahrer wurde deutlich aufgebrachter, das gäbe es doch nicht, und der Rollstuhlfahrer würde hier nicht stehen gelassen, sondern käme auf jeden Fall mit, sie solle Platz machen und zur Not aussteigen, sie sei doch unverschämt. Nein, er sei unverschämt, sie habe ein Recht da zu stehen, schließlich sei sie schwerbehindert!

So ging das eine Weile hin und her, der Ton wurde immer rauer. Schließlich hat die junge Frau mit dem Kinderwagen sich mitten in den Gang gestellt, die Dame mit dem Fahrrad sich schimpfend in der gesamten Länge der Doppelfreifläche schmal hingestellt und der Rollstuhlfahrer nebst Begleitung musste im Gang in Fahrtrichtung und absolut unsicher mitfahren. Die Schimpferei zwischen Busfahrer und Dame ging weiter, sie hielt ihn am Schluss sogar an den Mund zu halten. Er hatte kurz zuvor noch gedroht sie raus zuwerfen - und in diesem "Ach, halten Sie doch den/Ihren Mund"-Moment fürchtete ich sogar er werde die Drohung wahr machen.
Als sie dann später an ihrer Zielhaltestelle ausstieg, ist die schwerbehinderte Dame übrigens auf ihr Fahrrad gestiegen und - zwar langsam, aber nicht unbedingt schwerbehindertenplatzberechtigt davongefahren.

Es bleiben viele Fragen - und ich bin mir selbst mit meiner eigenen Meinung nicht sicher...

Zuallererst stellt sich mir die Frage was mit den kopftuchtragenden Damen ist. Ich meine, das ist eindeutig ein Rollstuhlplatz! Aber die beiden Frauen hatten absolut keine Anstalten gemacht sich in irgendeiner Art und Weise verantwortlich oder auch nur beteiligt zu fühlen. Das Gekeife war laut und deutlich genug - vielleicht (Vorsicht: Vorurteil - aber womöglich begründet?) können die beiden ja kein Deutsch und haben die Situation nicht verstanden und vielleicht deswegen total ignoriert? Aber es hat sie auch niemand darauf angesprochen - weder der Busfahrer noch die Fahrgäste. Auch ich nicht. Warum? Aus Angst? Davor in die rechte Ecke gedrängt zu werden? Ich hatte noch geschaut, aber es waren nirgendwo zwei normale Sitzplätze frei wo die beiden älteren Frauen sich hätten sofort hinsetzen können. Aber hätte ich mich getraut sie darauf anzusprechen wenn etwas frei gewesen wäre? Ich weiß es nicht.

Dann ist da diese renitente alte Dame die darauf beharrt dass ein (übrigens während der ganzen Zeit nicht vorgezeigter!) Schwerbehindertenausweis sie dazu berechtigt, stehend und mit Fahrrad einen speziell für Rollstuhlfahrer hergerichteten Platz im Bus zu belegen. Dass durch ihre Beharrlichkeit der arme junge Rollstuhlfahrer leiden musste, in absolut ungeeigneter und sogar gefährlicher Position mitfahren musste, das hatte sie keinen Deut interessiert. Sie ließ sich nicht im Geringsten auf Argumente ein, hörte nicht zu. Sie war im Recht und sonst niemand!

Und dann der Busfahrer. Natürlich hätte er höflicher sein können, freundlicher, besser versuchen können zu überreden, zu überzeugen. Aber ich vermute dass er auch damit bei der renitenten Dame auf Granit gebissen hätte.
Und was war mit dem zweiten Rollstuhlplatz? War es ihm nicht bewusst dass dieser Bustyp so einen hat (die meisten anderen Busse haben ihn nämlich nicht)? Wahrscheinlich konnte er in diese Ecke auch nicht gut sehen, da viele Fahrgäste davor standen. Hätte er sich anders verhalten sollen?
Hätte er das Recht gehabt (und es womöglich sogar nutzen sollen?) diese Dame an die Luft zu setzen? Wie hätte er handeln sollen?

Und nicht zuletzt die ganzen peinlich berührten und gleichzeitig ratlosen Fahrgäste. Was hätten wir alle tun sollen? Für wen Partei ergreifen? Für den Rollstuhlfahrer, klar! Aber gegen wen? Und wie?

Ihr seht: ich weiß immer noch nicht wie ich das ganze sehen soll. Ich schäme mich dass ich nichts gemacht habe, weiß aber gleichzeitig auch bis jetzt noch nicht, WAS ich hätte tun sollen oder können.

4 Kommentare:

Faden verloren hat gesagt…

Oh, ich kann dich so gut verstehen! Ginge mir ähnlich.
Ich frage mich die ganze Zeit, was eigentlich eine Schwerbehinderte mit einem Fahrrad macht...?
Und die Ansage, der Rollstuhlfahrer solle doch einfach den nächsten Bus nehmen ist sowas von frech, da bleibt einem ja die Luft weg. Irgend jemand hätte dieser Frau wirklich mal den Marsch blasen sollen. Sowas ignorantes aber auch. Ich frage mich, ob jemand aufgestanden wäre, wenn der Busfahrer gebeten hätte, den beiden kopfbetuchten Frauen einen Sitzplatz anzubieten.
Im Endeffekt ist es sein Job, die Regeln des Verkehrsmittelverbandes durchzusetzen. Er hätte einfach sagen sollen, wir fahren jetzt nicht weiter, bis der Rolli Platz hat, auch wenn alle nochmal aussteigen und sich neu sortieren müssen. :-)
LG Lotti

Anne von beswingtes Allerlei hat gesagt…

Nyah, die Dame mit dem Fahrrad hat doch genauso das Recht auf Beförderung wie der Rollstuhlfahrer. Da spielt die Schwerbehinderung [welche auch immer] eh keine Rolle. Gleiches gilt für die Mutter samt Kinderwagen oder die anderen. Und natürlich muss jemand - wenn der Bus denn überfüllt ist - auch mal den nächsten nehmen.
Eigentlich hätten die bekopftuchten Damen, die dort eindeutig im Weg sitzen, Platz machen müssen - einen Recht auf Sitzplatz hat man nämlich nicht. Und dann wäre das auch gleich ganz normal erledigt. Schade, dass man das in Deutschland aber nicht so sagen darf ohne dass man fürchten muss, dass andere Fahrgäste erschrocken tuscheln.

Selbermacherin hat gesagt…

Uff..
Ja das ist eine wirklich besch... äh ich meinte doofe Situation!
Aus meiner Sicht hätten die beiden Frauen darauf hingewiesen werden müssen, dass sie den Platz "räumen" müssen. Da hat ein Rollstuhl definitiv Vorrang. Vielleicht dachte das auch die Frau mit dem Rad?!? Hat sich aber evtl auch nicht getraut das zu sagen (klingt komisch, aber man wird soo schnell scheel angesehen und als Ausländerfeindlich angesehen).
Hmm aber ich kenne aus eigener Erfahrung die Problematik mit Rollstuhl-Parkplätzen, im Zug usw da einige Freunde von mir im Rollstuhl sitzen. Und es ist immer wieder faszinierend wie vielen total gesund aussehende und auch herumhüpfende Menschen ganz plötzlich unbedingt einen Behinderten Platz beanspruchen (im Brustton der Überzeugung) und dabei nicht mal rot werden :-(
Aber zum Glück gibt es auch viele andere!
Susanne

Mohnrot hat gesagt…

Danke für Eure Meinungen! Es hat mir ein bißchen geholfen. Wie schon erwähnt ärgere ich mich vor allem auch über mich selbst, dass ich, genauso natürlich wie all die anderen Fahrgäste, nichts unternommen habe. Die einfachste Lösung wäre ja das Bäumchen-wechsel-Dich-Spiel mit diesem zweiten Rollstuhlplatz gewesen.
Irgendwie gibt es in diesem ganzen Szenario außer dem Rollstuhlfahrer keinen wirklich Unschuldigen, aber auch keinen wirklich komplett Schuldigen.
Eine Situation wie das Leben eben:
Eigentlich ja auf sehr geradem Weg und zur Zufriedenheit aller Beteiligten zu lösen - aber niemand traut sich diesen aufwendigeren Weg. Stattdessen wird lieber am bestehenden System rumgedoktort und dabei noch gepfuscht - so dass letztendlich alle unzufrieden sind.

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